Digitale Gewalt – die Herabsetzung, Belästigung, Diskriminierung und Nötigung mithilfe digitaler Mittel – kann schwerwiegende Auswirkungen für Betroffene und die demokratische Teilhabe haben. Angesichts dieser Problematik plant die Bundesregierung ein „Gesetz gegen digitale Gewalt“, um Betroffenen effektivere Verteidigungsmittel zur Verfügung zu stellen. 
Neben zahlreichen anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen bezog auch die AWO kürzlich Stellung zu diesem Eckpunktepapier. Dies war der Ausgangspunkt einer Podiumsdiskussion am 28.11.2023, bei der Perspektiven aus Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft zusammenkamen, um das Eckpunktepapier des Bundesjustizministeriums zu erörtern. Mit dabei waren Anna Wegscheider von HateAid, Sina Laubenstein von der Gesellschaft für Freiheitsrechte, Dr.  Alexander Schäfer (BMJ) und Carmen Wegge, MdB (SPD). 

Digitale Gewalt: ein vielschichtiges Problem

Die Diskussion verdeutlichte, dass digitale Gewalt ein vielschichtiges Problem ist. Gewalt auf sozialen Medien beeinträchtigt nicht nur die direkt Betroffenen, sondern hat auch einen „Silencing-Effekt“ auf viele Menschen, die sich nicht mehr trauen, sich im Netz zu äußern. Insbesondere Wissenschaftler*innen, Journalist*innen, Frauen und Personen, die mehrfachen Diskriminierungen ausgesetzt sind Ziel digitaler Angriffe. Anna Wegscheider von HateAid spitzte zu: „Wenn Marginalisierung und umstrittene Themen zusammentreffen, dann ist digitale Gewalt fast garantiert.“ Sina Laubenstein von der Gesellschaft für Freiheitsrechte fügte hinzu, dass auch die Familien der Betroffenen oft ins Visier genommen werden. Digitale Gewalt beschränkt sich jedoch nicht nur auf soziale Medien, sondern tritt auch im sozialen Nahraum und in Partnerschaften auf. Täter*innen nutzen hier vermehrt Überwachungsinstrumente, Tracking-Apps, Mobbing über Messengerdienste und fertigen ohne Einwilligung intime Bilder an. Es wurde deutlich, dass diese Formen der digitalen Gewalt gerade im Bereich des Frauengewaltschutzes zunehmend zu einem Problem werden. Alle Teilnehmenden waren sich einig, dass digitale Gewalt als tiefgreifendes und gesamtgesellschaftliches Problem begriffen werden muss. 

Das geplante Gesetz gegen digitale Gewalt

Das geplante Gesetz gegen digitale Gewalt zielt darauf ab, die zivilrechtlichen Handlungsmöglichkeiten von Betroffenen zu verbessern, wie Dr. Alexander Schäfer vom Bundesjustizministerium erläuterte. Ein Identitätsfeststellungsverfahren, der Anspruch auf die richterliche Sperrung von gewaltausübenden Accounts und die Einführung von inländischen Zustellungsbevollmächtigten für Briefverkehr seitens der Plattformen sollen Verfahren beschleunigen und zivilrechtliche Ansprüche von Betroffenen gegenüber Tätern durchsetzbar machen.  Nach Auswertung der Stellungnahmen befindet sich das zuständige Referat nun in der Ausarbeitung des Referentenentwurfs, der im ersten Quartal 2024 erwartet wird. Schäfer stellte einige Verbesserungen gegenüber dem Eckpunktepapier in Aussicht, wie die Einschränkung auf natürliche Personen anstelle von Unternehmen.  Für einige geforderte Verbesserungen ist jedoch weiterhin Druck erforderlich. Ein Verbandsklagerecht, wie es Carmen Wegge (SPD) forderte, ist nicht vorgesehen. Dies könnte die emotionale und finanzielle Belastung von Betroffenen erleichtern und Zugangshürden reduzieren, so Laubenstein. Auch die Förderung von Beratungs- und Unterstützungsstrukturen ist im Rahmen des Gesetzes nicht vorgesehen. 

Auf dem Weg zu einem umfassenden Ansatz

Das Gesetz gegen digitale Gewalt wird voraussichtlich in bestimmten Punkten substanzielle Verbesserungen bringen. Die Veranstaltung machte jedoch deutlich, dass viele Problemfelder nur im Rahmen einer umfassenderen Strategie gegen digitale Gewalt eingedämmt werden können.  Es besteht ein großer Bedarf für eine bessere Erfassung und wissenschaftliche Analyse des Problemfelds. Erste Ansatzpunkte bieten eine Dunkelfeldstudie zu Gewaltbetroffenheit von BMI, BMFSFJ und BKA sowie das Kommunale Monitoring zu Gewalt gegen Amtsträger*innen des Städtetags.  Die Beratungs- und Unterstützungsstruktur für Betroffene digitaler Gewalt muss dringend ausgebaut werden. Zahlreiche Beiträge verdeutlichten, dass gerade marginalisierte Personen nur so einen realen Zugang zu ihrem Recht erhalten. Auch die technische Unterstützung von Betroffenen und Beratungsstellen muss gestärkt werden, etwa durch den Aufbau von Technikkompetenzzentren.  Abschließend muss klar sein: Das geplante Gesetz gegen digitale Gewalt hilft wenig in Fällen im sozialen Nahraum, in denen Täter ohnehin bekannt sind. Hier sind weitere Strategien nötig.   
Die Online-Diskussion wurde aufgezeichnet – du kannst sie hier ansehen: