Wie verändert sich unsere Welt im Zuge des immer stärkeren Einflusses von Daten und digitalen Technologien wie Künstlicher Intelligenz (KI) und was bedeutet das für die AWO?  

Wachsende Komplexität und Unvorhersehbarkeit in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens, der Politik und Wirtschaft sowie tiefgreifende technologische und klimatische Veränderungen stellen Organisationen in Bezug auf ihre strategische Planung vor neue Herausforderungen.  

Ein präziser Blick in die Zukunft schafft hier Orientierung: Fernab von jeder Glaskugel sind Zukunftsszenarien, die sich aus gegenwärtigen Entwicklungsstrukturen ableiten lassen, für Organisationen wertvoll – sei es in der Wohlfahrt oder der freien Wirtschaft. Sie unterstützen dabei, bessere Entscheidungen zu treffen, ob bei der Entwicklung von Strategien, in Transformationsprozessen oder bei der Förderung von Innovationen.  

Organisationen wie wir als AWO können durch die systematische Beschäftigung mit Zukunftsfragen Strategien entwickeln, flexibler auf Veränderungen reagieren und sich besser auf kommende Entwicklungen vorbereiten. Auf diese Weise lässt sich ein klarer Kurs für eine erfolgreichere und nachhaltigere Entwicklung hin zu einer wünschenswerten Zukunft setzen. 

Zukunftsfragen als strategische Wegweiser 

In der zweiten Etappe der AWO digital Datenreise, einer Workshopreihe, die sich mit der strategischen Erkundung gemeinwohlorientierter Datennutzung befasst, haben wir deshalb erkundet, welche Szenarien und gesellschaftlichen Trends sich rund um das Thema Daten und KI in vier Kernfeldern der Arbeiterwohlfahrt abzeichnen und was das für die Zukunft der AWO bedeutet.  

Daten und Wohlfahrt: Vier Szenarien 

Von den zentrale Zukunftsfragen, die unsere Gesellschaft von morgen im Allgemeinen und die AWO im Speziellen bewegen werden, haben wir uns mit diesen vieren auseinandergesetzt:

  • Wie werden Daten dabei helfen, den Auswirkungen des Demographischen Wandels insbesondere in der Pflege zu begegnen? 
  • Wie wird die zunehmende Nutzung von KI Diversität und Teilhabe in der Gesellschaft beeinflussen? 
  • Welche Rolle spielen Daten und KI in der politischen Willensbildung und Entscheidungsfindung im Jahr 2035? 
  • Welche Rolle spielen Daten & KI bei der Anpassung an die Klimakrise

Um uns diesen zu nähern, warfen wir im Workshop einen Blick in das Jahr 2035:  

Gemeinsam mit Kolleg*innen aus Bundes-, Landes- sowie Bezirksverbänden und einigen Daten-Expert*innen haben wir gefragt: Wie werden sich die oben genannten Schwerpunktthemen – ausgehend von aktuellen Entwicklungstrends – weiterentwickeln und welche Chancen und Risiken liegen in diesen Szenarien? Wie müssten diese heute angegangen werden, um sie im Sinne einer wünschenswerten Zukunft nutzbar zu machen bzw. eindämmen zu können? Die Antworten darauf sind ein wichtiger Schlüssel, um die AWO zukunftsfähig zu machen.  Erste Einblicke in die Ergebnisse teilen wir bereits hier in diesem Artikel. 

Daten und der demographische Wandel in der Pflege 

Entwicklungsthese: Im Jahr 2035 wird es in der Pflege einen noch dramatischeren Fachkräfte- und Arbeitskräftemangel geben als heute, da sich das Verhältnis von verfügbaren Arbeitskräften zu Pflegebedürftigen weiter verringern wird.  

Welche Potenziale und Risiken ergeben sich daraus für die AWO insbesondere im Bereich Pflege? Daten können in diesem Szenario dabei helfen, den Bedarf an Arbeitskräften zu reduzieren, denn sie gestalten den Arbeitsalltag in der Pflege effizienter. Zum Risiko wird das, wenn eine gesteigerte Anwendung von Daten dazu führt, dass Zahlen und Werte über die Pflegebedürftigen in der pflegerischen Praxis mehr Stellenwert gewinnen, als das Menschsein. Führt die Anwendung von Daten zum Verlust an persönlichem Kontakt zu den Pflegebedürftigen und reduziert darüber hinaus den Professionalitätsgrad der Pflegetätigkeit, verliert der Beruf stark an Attraktivität. Kluge Datennutzung jedoch bietet die Chance, mehr Zeit für den zwischenmenschlichen Kontakt zu gewinnen. Denn kann der Aufwand für andere Tätigkeiten minimiert werden, ist Raum für mehr Beziehungsarbeit. Hier verbirgt sich eine große Chance für die AWO.  

Wie kann der Weg in eine wünschenswerte Zukunft aussehen? Damit eine kluge Datennutzung in der Pflege entwickelt werden kann, sollte die AWO bereits jetzt strukturiert und zielgerichtet unter Einbindung aller wichtigen Stakeholder*innen, wie Gesetzgebenden, Pflegekassen, Pflegenden, Gepflegten und Angehörigen, ganzheitliche Konzepte entwickeln und umsetzen, die durch eine soziale und gemeinwohlorientierte Nutzung von Daten mehr Raum für das Wesentliche in der pflegerischen Praxis schaffen, die Zwischenmenschlichkeit.  

Die Auswirkungen von KI auf Diversität und Teilhabe 

Entwicklungsthese: Im Jahr 2035 wird Künstliche Intelligenz (KI) die Teilhabemöglichkeiten für Zielgruppen wie Menschen mit Behinderung erheblich verbessert haben können.  

Welche Potenziale und Risiken ergeben sich daraus für die AWO? Damit datenbasierte Systeme ihre Wirkung entfalten können, braucht es Vertrauen in datengestützte Systeme. Technische Systeme können aber vulnerable Gruppen noch verletzlicher machen, wenn sie sich in ihrem Lebensalltag darauf verlassen und ihre Daten preisgeben. Umso relevanter ist es als AWO, dem Risiko zu begegnen, dass in der Nutzung und Entwicklung von KI immer wieder verzerrte Datensätze entstehen können und Diskriminierung durch Algorithmen stattfinden kann. Denn es liegt ein großes Potenzial für die AWO, durch KI-Technologien, die Teilhabemöglichkeiten zu stärkt, diese zum Wohle ihrer Zielgruppen zu nutzen und darüber hinaus selbst dazu beitragen, innovative Lösungen zu entwickeln.  

Wie kann der Weg in eine wünschenswerte Zukunft aussehen? Auf dem Weg, Teilhabe durch neue Angebote zu ermöglichen und Diversität zu stärken, bräuchte es daher – neben der entsprechenden technischen Infrastruktur – etablierte Regelwerke und Verfahren, in denen datenbasierte Lösungen und Entscheidungen transparent gemacht und reflektiert werden können. Ansätze dafür können schon heute entwickelt werden.  

Daten und KI in der politischen Willensbildung 

Entwicklungsthese: In 2035 werden Daten und der digitale Raum einen noch größeren Einfluss auf die politische Willensbildung haben als heute: Daten werden verstärkt zur Quelle für informierte Entscheidungsfindung und die Relevanz politischer Akteure wird überwiegend im digitalen Raum verhandelt.  

Welche Potenziale und Risiken ergeben sich daraus für die AWO? In diesem Szenario besteht das allgemeine Risiko der Machtverfestigung durch Datenkontrolle, da Daten oft von wenigen für viele gesammelt und ausgewertet werden. Es besteht außerdem die Gefahr, das gesellschaftliche Diskurse weiter polarisiert und unterkomplex geführt werden.  Denn politische Akteure nutzen Daten und KI noch versierter, um Zielgruppen gezielt zu mobilisieren und der eigenen Position mehr Wahrnehmung zu verhelfen. Das bedeutet aber auch, dass interessenvertretende Instanzen, zum Beispiel die Zivilgesellschaft, politisches bzw. Verwaltungshandeln besser beobachten und kommentieren können, wenn sie ebenfalls datenbasiert arbeiten. Darin steckt ein großes Potenzial für die AWO als politische Akteurin. Denn sie kann Fakten und Daten für politische Debatten bereitstellen, analysieren und helfen, diese zu interpretieren. Wünsche und Bedürfnisse ihrer Anspruchsgruppen können außerdem präziser erfasst und artikuliert werden.  

Wie kann der Weg in eine wünschenswerte Zukunft aussehen? Um die Potenziale, die sich in diesem Szenario ergeben voll ausschöpfen zu können, muss sich die AWO grundlegend erneuern. Sie muss Kompetenzen, Ressourcen, Infrastrukturen und Standards entwickeln, um Daten zu sammeln, zu analysieren und zu beurteilen und zwar über operative Handlungsfeldern sowie verwaltenden und strategisch planenden Organisationseinheiten hinweg.  Dazu müssen Allianzen und interne Zusammenarbeit innerhalb der AWO und auch mit anderen Wohlfahrtsakteuren geschmiedet werden, um gemeinsam Wissen und datenbasierte Informationen zu generieren. Denn entscheidend ist, dass dies nicht isoliert und nebeneinander geschieht, sondern gemeinschaftlich.  

Die Rolle von Daten & KI bei der Anpassung an die Klimakrise 

Entwicklungsthese: Klimawandel und Digitalisierung bedingen sich gegenseitig. Denn zum einen braucht Digitalisierung mehr Ressourcen, von denen immer weniger zur Verfügung stehen, zum anderen werden Daten und der digitale Raum genutzt, um datenbasiertes Wissen zum Klimawandel zu generieren und zu vermitteln. Im Jahr 2035 wird diese Verzahnung noch enger ausgeprägt sein und wir werden Maßnahmen und Strukturen entwickelt haben, die Daten zur Eindämmung des Klimawandels nutzbar machen. 

Welche Potenziale und Risiken ergeben sich daraus für die AWO? Es braucht Vorbilder für den klugen Umgang mit Klimawandel. Der Diskurs zur Schnittstelle von Umweltschutz und Digitalisierung muss proaktiv und auf der Basis von Wissen und Daten mitgestaltet werden. Die AWO kann – leading by example – die Schnittstelle von Digitalisierung und Umweltschutz in der eigenen Organisation gestalten, KI und Daten nutzen, um Ressourcen einzusparen und um eine Informationsbasis zu schaffen, auf deren Basis Strukturen und Prozesse immer weiter in Richtung Nachhaltigkeit optimiert werden können. Dazu braucht es nicht nur die richtigen Daten, sondern auch die Fähigkeiten, sie zu verstehen und zu verarbeiten. 

Wie kann der Weg in eine wünschenswerte Zukunft aussehen? Der Umweltschutz sollte für die AWO kein „nice-to-have“, sondern eine Zukunftsgrundlage sein – folglich in allen strategischen Vorhaben mitgedacht werden. Ebenso sollte das Verständnis und Wissen rund um das Ineinandergreifen von Klimaschutz und Digitalisierung innerhalb der AWO gefördert werden, etwa durch Bildungsangebote, die Integration des Themas in der Arbeit mit den Anspruchsgruppen und in der Organisationsentwicklung. In der gesellschaftlichen Debatte über Digitalisierung kann die AWO schon heute der starken Technikzentriertheit in den Debatten eine gemeinwohlorientierte Perspektive entgegenbringen. 

Wie es weitergeht… 

Dies sind nur kleine Einblicke in die Workshop-Ergebnisse. In ihrer Gänze werden die Zukunftsfbilder zur Quelle für vier Kurzgeschichten, die im Rahmen eines kommenden Themenpapiers veröffentlicht werden. Sie sollen die Relevanz und das Potenzial von Daten und KI für die AWO plastisch machen. Zusammen mit den in der AWO digital Datenreise versammelten strategischen Ansätzen Wollen wir eine Absprungrampe für die weitere operative und strategische Auseinandersetzung mit Daten bauen und so helfen, die AWO zukunftsfähig aufzustellen und die Zukunft der Arbeiterwohlfahrt zu sichern.  

Den Blick in die Zukunft ergänzt in einem nächsten Schritt der Blick in das Hier und Jetzt. So wird sich ein im September stattfindender Roundtable mit den konkreten Möglichkeiten und Herausforderungen dort beschäftigen, wo die Freie Wohlfahrtspflege direkt Wirkung entfaltet – in der Sozialen Arbeit und ganz konkret in der Pflege. Der Roundtable zielt auf das Greifbarmachen konkreter Ansatzpunkte, um Chancen der Datennutzung zu ergreifen und Hindernisse abzubauen. 

Mehr zum Thema ist auch im Themenpapier „Wohlfahrtspflege und Daten: eine Standortbestimmung“ nachzulesen.